Ein denkwürdiger Jahrestag. Vor 70 Jahren, am 15. März 1952, fand vor der Dritten Großen Strafkammer des Braunschweiger Landgerichts der sog. „Remer-Prozess“ statt. Dazu erklärt der Braunschweiger CDU-Bundestagsabgeordnete und Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag Carsten Müller:
„Der 70. Jahrestag des ‚Remer-Prozess‘ hier in Braunschweig ist Anlass, das Andenken und die Bedeutung des damaligen Prozesses zu nutzen, ein starkes Zeichen zu setzen und den Rechtsstaat weiter konsequent gegen Angriffe und Extremismus zu stärken. Der Remer-Prozess und die Arbeit des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer sind Meilensteine der deutschen Aufarbeitung des NS-Verbrechens.“
Der Remer-Prozess war ein Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Generalmajor Otto Ernst Remer. Er wurde angeklagt wegen übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Der Prozess erregte in Westdeutschland beträchtliches Interesse, weil darin posthum die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 rehabilitiert und ihr Versuch, Hitler zu töten, legitimiert wurden. Die Attentäter des 20. Juli wurden ausdrücklich vom Verdacht des Landes- und Hochverrats freigesprochen. Das Gericht schloss sich der Auffassung des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer an, dass der NS-Staat ‚kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat‘ gewesen ist. Remer wurde nach einwöchiger Verhandlung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Er entzog sich jedoch der Strafe durch Flucht ins Ausland.“
Die Anklage gegen Remer erhob der am Landgericht Braunschweig tätige Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903-1968). Es handelte sich um einen seiner ersten Fälle als Generalstaatsanwalt in Braunschweig und machte ihn auch außerhalb Deutschlands bekannt: Bauer prägte dabei den Satz: „Ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr.“ Es ging in diesem Prozess um eine endgültige Entkräftung der Vorwürfe des Hochverrats und des Eidbruches, der die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 eben gerade von soldatischer Seite traf. Die Braunschweiger Strafkammer vertrat die Ansicht, dass der nationalsozialistische Staat kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat war, der nicht dem Wohl des deutschen Volkes diente. Alles was das deutsche Volk, angefangen vom Reichstagsbrand über den 30. Juni 1934 (Röhm-Putsch) und den 9. November 1938 hat über sich ergehen lassen müssen, war extremes Unrecht, dessen Beseitigung unabdingbar war.
Der Remer-Prozess erregte große öffentliche Aufmerksamkeit und war nach Einschätzung des Juristen Rudolf Wassermann der „bedeutendste Prozess mit politischem Hintergrund seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen und vor dem Frankfurter Auschwitz-Prozess“. Das große Medieninteresse sorgte dafür, dass der Remer-Prozess zu einem authentischen Lehrstück wurde, der dafür sorgte, dass sich das Wahrnehmungs- und Geschichtsbewusstsein der bundesdeutschen Bevölkerung langsam veränderte. Die öffentliche Meinung zum Thema „20. Juli“ verwandelte sich: ein Dreivierteljahr nach dem Prozess gaben 58 Prozess der Befragten an, dass die Attentäter in ihren Augen keine Verräter gewesen seien.
Hintergründe:
1 Erardo Cristoforo Rautenberg: Zu Hause unter Feinden. In: Wochenzeitung Die Zeit, Hamburg, Nr. 47, 13. November 2014, S. 17
2) Urteil des Braunschweiger Landgerichts im März 1952, zitiert nach: Lenz, Friedrich (1953): Der ekle Wurm der deutschen Zwietracht: politisches Problem rund um den 20. Juli 1944. Selbstverlag. Die Anklageschrift und das Plädoyer Bauers sind abgedruckt in: Monika Nöhre (Hrsg.): Zerstörte Rechtskultur. Vorträge im Berliner Kammergericht. Berlin 2013, S. 45 ff.
3) Rudolf Wassermann: Fritz Bauer (1903–1968). In: Peter Glotz und Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.): Vorbilder für Deutsche. Korrektur einer Heldengalerie. München, Zürich 1974, S. 296
Source:
Carsten Müller
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